Von Kindsbeinen an bekommen wir eingetrichtert: Sei ein gutes Kind, fleißig in der Schule, habe viele Freunde, sei beliebt und gehorche deinen Eltern. Als erwachsener Mensch versuchen wir diesen hohen, selbstkreierten Maßstab aufrecht zu erhalten. Nicht selten führt es dazu, dass wir den erwünschten Soll-Zustand nicht nur an uns selbst anwenden, sondern auf andere übertragen.
„Wenn ich selbst meinen Ansprüchen gerecht werde, wieso können es auch nicht meine Mitmenschen werden?“
Erst letztens habe ich gelesen, dass die Menschen unsymmetrisch sind. Denn Symmetrie ist ein Faktor, der Attraktivität erzeugt. Umso ähnlicher beispielsweise beide Gesichtshälften sind, umso attraktiver wird ein Mensch wahrgenommen. Das Bild zu dem Beitrag habe ich bewusst ausgewählt. Obwohl beide Türen symmetrisch erscheinen, hängt links eine Lampe. Der ein oder andere wird das als störend empfinden. Erschreckend, oder? Wenn man aber genauer hinsieht, dann stellt man fest, dass es DAS Merkmal ist, was beide Seiten voneinander unterscheidet – sie individuell und unverwechselbar macht.
… stehen wir jederzeit bereit, um uns selbst fertig zu machen – bevor es überhaupt jemand anders tun kann. Verfolgt von dem Gedanken, immer das Beste aus sich herausholen zu müssen, stürzen wir uns in einen Strudel von Angst, Selbstzweifel und eventuell sogar Selbsthass. Stattdessen bewundern wir andere für ihre erreichten Ziele, ihr immer frisches Aussehen und das strahlende Lächeln, das sie jeden Tag hervorbringen. Sicherlich ein Extremfall, den ich gerade beschreibe, aber jeder von uns hatte mal den ein oder anderen Moment, wo er sich total elend uns mies gefühlt hat. Es ist okay, sich auch mal nicht gut zu fühlen – oder wie man sagt
„It’s okay to be not okay“.
Das gehört zum Leben gewissermaßen dazu.
Ich selbst würde mich als Perfektionistin bezeichnen. Während meiner Schul- und Studienzeit habe ich immer nach Bestnoten gestrebt, meine zahlreichen Freundschaften aufrechterhalten und versucht möglichst wenig mit meiner Familie anzuecken. Wir kennen alle das Bild der perfekten Cheerleaderin aus den amerikanischen Filmen: Sie ist schlank, hat den Leader des Footballteams als Freund, ist beliebt und hat ein Stipendium an der Harvard Universität.
Leider vergessen viele, dass diese Person nur einer Minderheit widerspiegelt. Kein Mensch ist perfekt und wird es auch nie sein. Vor allem vergessen wir, dass das nach außen getragene Bild wie in Filmen oder Sozialen Medien nur einen kleinen Prozentsatz der ganzen Person ausmacht. Schöne Momente werden gerne geteilt, während die traurigen und negativen Seiten zurück gehalten werden. Aus einem nachvollziehbaren Grund: Man möchte sich nicht angreifbar machen, denn wer zu seinen Fehlern steht, der bietet auch Angriffsfläche. Die fehlerfreie Darstellung unserer Mitmenschen lässt uns aber an uns selbst zweifeln.
„Was wir uns noch immer wieder vor Augen führen müssen: Nur weil jemand viele Follower, Likes und Geld hat, ist er oder sie nicht unbedingt glücklich.“
Strahlt eine Fashionbloggerin auf ihrem neusten Foto, kann es genauso sein, dass sie in anderen Lebensbereichen mit den gleichen Ängsten zu kämpfen hat wie wir – sie zeigt es nur nicht. Genauso bei einem Mann, der gerade sein Foto vom Sixpack hochlädt. Sie sind alle genauso menschlich wie wir – sie offenbaren es nur nicht und müssen es auch nicht. Wir sollten nur lernen mit den positiv dargestellten Aspekten auf Social Media realistisch umzugehen und vor allem: dies nicht als Anlass zu nehmen, uns selbst fertig zu machen.
sind das Resultat. Frauen, die nach 6 Wochen mit ihrem „After-Baby-Body“ prahlen als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass man nach dieser Zeit schon wieder Muskelansätze am Bauch sieht, lassen eine frisch gebackene Mutter in Schnappatmung verfallen. Einerseits fragt sie sich „Wenn sie das kann, wieso kann ich das nicht?“ und anderseits denkt sie „Ich bin nicht schön, weil ich nach 6 Wochen nicht so aussehen kann wie sie“.
„Wir verurteilen uns demnach, was andere uns vorleben.“
Dass sie anderen Umständen ausgesetzt sind, wie einem persönlichen Koch, einem Babysitter, der die Kinder abnimmt während man Stunden im Fitnessstudio verbringt oder Wochen auf ihr Lieblingsessen verzichten mussten, wird manchmal sogar erst gar nicht erwähnt.
Gerade die Eigendarstellung auf Social Media beruht in vielen Fällen auf Perfektionismus. Der perfekte Schnappschuss von der Hochzeit, das Selfie mit 1.734 Likes und die Fotos von dem gesunden Essen zu jeder Mahlzeit bürgen uns selbsterzeugten Druck auf. Ich muss zugeben, dass ich nur Bilder von mir hochlade, wenn ich perfekt gestylt bin, weil ich mich für einen Anlass hergerichtet habe. Bilder, die ich im Alltag aufnehme, sende ich höchstens an eine enge Freundin, weil sie mir vertraut ist und ich weiß, dass sie mich mag wie ich bin.
Wir streben also in der Öffentlichkeit danach, von anderen gemocht zu werden. Das perfekte Bild von uns abgeben ohne möglichst Ecken und Kanten zu haben. Man möchte möglichst alle Lebensbereiche gleichzeitig perfekt gestaltet haben: Eine gute Mutter sein, im Job eine Super Performance ablegen, eine sorgsame Ehefrau abbilden, die Freundschaften pflegen und natürlich 12 Monate im Jahr einen super Beachbody haben.
„Erst Fehler machen uns liebenswürdig und einzigartig.“
Wie viele Stars erleiden Depressionen? Wenn man durch die Geschichte mancher großer Persönlichkeiten klickt, dann stellt man fest, dass der ein oder andere früher oder später eine Depression erleidet, weil er dem Druck von außen und den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird. Aus Angst, Fehler zu machen, hält der Perfektionismus uns davon ab, neue Dinge, auszuprobieren. Die Selbstzweifel wie „Das schaffe ich sowieso nicht.“ oder „Wenn ich nicht mindestens das erreichen kann, was mein Nachbar (xy) erreicht hat, will ich es nicht.“ lassen uns erst gar nicht einen Schritt gehen, der uns wohlmöglich weiter im Leben bringt.
Keinem Menschen gelingt es ohne Hilfe von außen über einen längeren Zeitraum in allen Lebensbereichen überdurchschnittlich abzuschneiden. Zwar haben wir bestimmte Vorstellungen von uns selbst in uns, aber es gilt auch Abstriche zu machen, wenn das Leben gerade Aufmerksamkeit in einem besonderen Bereich erfordert.
Als ich in der Abschlussphase meines Studiums war, habe ich gemerkt, dass mein Trainingspensum von vier mal die Woche, wöchentlichen Treffen mit Freunden und die Besuche bei meiner Familie unmöglich aufrecht zu erhalten waren. Ich kam in die Situation Abstriche machen zu müssen, da der Tag nur 24 Stunden hat. Also legte ich meine anderen Lebensbereiche kurzzeitig auf Eis oder fuhr sie herunter, um dem Anspruch, einen guten Studienabschluss zu machen, gerecht zu werden. Die mir selbst auferlegten und fremden Ansprüche in allen Lebensbereichen konnte ich während dieser Phase nicht gerecht werden. Und es wird wieder Phasen in meinem Leben geben, wo ich dies tun muss. Wichtig war meine Erkenntnis:
„Man kann nicht immer überall perfekt sein.“
Wenn ich einkaufen gehe, erwische ich mich manchmal dabei, wie ich Minuten vor dem Regal für Süßigkeiten stehe und jeden einzelnen Faktor für mich abwäge. Wird es mir schmecken? Lohnt sich das für den Preis? Und was ist, wenn ich zu Hause doch Lust auf etwas anderes habe? Es gibt sogar Fälle, wo ich mich umdrehe und nach Hause gehe: ohne Süßigkeiten.
Da ich nicht das Perfekte für mich finden konnte, gehe ich lieber mit leeren Händen nach Hause als etwas zu nehmen, was mir nur „halb-gut“ gefällt. Abends auf dem Sofa bei der Lieblingsserie denke ich dann: „Hätte ich mal die Chips mitgenommen, die ich als letztes in der Hand hatte.“ Wir stellen uns selbst ein Bein damit, alles nach den besten Maßstäben erledigen zu wollen. Eine Woche später erinnert man sich nicht mal daran, dass man Chips gegessen hat, die einem nicht so gut gefallen haben. Was ich damit sagen will ist:
„Die Folgen mancher Entscheidungen sind so klein für uns und dennoch messen wir ihnen eine große Bedeutung zu.“
Das ist nur ein kleines Beispiel. Dieses Phänomen kann genauso andere Lebensbereiche betreffen.
Ich weiß noch als ich in der Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin war musste ich mich spätestens nach jedem praktischen Einsatz und jeder praktischen Begleitung/ Prüfung selbst einschätzen. Immer wieder war zu erkennen: ich fokussierte mich eher auf das, was schief gelaufen war als das, was ich besonders gut gemacht habe. Während meiner Lehrerin diese „Fehler“ gar nicht so schwerwiegend vorkamen wie ich sie empfand, habe ich mein Urteil über mich selbst vorwiegend auf die negative Seite gestützt.
Die Noten waren dann letztendlich viel besser als erwartet, aber ich begann mich auch zu fragen, wieso ich so selbstkritisch vorgegangen bin. Mir schien es so, als würde ich Fehler mindestens zehn mal schwerer gewichten als etwas, was positiv an mir ist. Sich selbst zu unterschätzen aufgrund von erhöhten Erwartungen kann einem sogar die berufliche Zukunft verbauen, weil man sich nicht traut, Dinge einzufordern, die einem zustehen.
Manchmal gibt man sein Bestes, steckt seine gesamte Energie in ein Projekt oder Ziel und wird damit konfrontiert, dass man nicht das erreicht hat, was man sich vorgestellt hat. Sei es die Diät, die nach 2 Wochen noch das gleiche Gewicht anzeigt oder der Abschluss der mit einer 2 statt einer 1 vorne dasteht. Gerade bei überhöhten Erwartungen, die an dem maximal Erreichbarem kratzen, sind hiervon betroffen.
„Die Grenze zwischen Ansporn und Enttäuschung ist dünn,“
sodass wir von uns selbst so viel erwarten wie wir gar nicht leisten können. Ich habe für mich gelernt, dass es hilfreich sein kann, sich von der Situation zu distanzieren. Indem ich mir vor Augen führe, dass ich alles Mögliche getan habe. Zudem ist es in diesen Fällen gut, die Situation anzunehmen wie sie ist, damit ein Stück weit loszulassen statt sich selber für die Resultate fertigzumachen.
Auf die Meinung anderer habe ich nie viel Wert gelegt bzw. sie war nie die Quelle erster Wahl für meine Entscheidungen im Leben. Was ich aber immer noch lerne ist: Gelassen zu sein – auch wenn es mal anders läuft als man es selbst möchte. Ich habe gelernt, dass man, das was kommt nur bedingt kontrollieren kann. Und auch wenn es anders ist: Das Ärgern darüber verschlimmert eher die Situation und erzeugt Stress als mir zu helfen. Mündet das Ganze sogar in Selbstbestrafung und Abzügen in der Selbstliebe, ist es Zeit neue Perspektiven anzunehmen. Weil eine Vorstellung nicht erreicht wurde, heißt es nicht, dass man ein schlechter Mensch ist oder weniger wert ist! Letztens habe ich den Spruch:
„Kinda funny how stopping to try to make everything perfect, makes everything perfect.“
gelesen und fand ihn treffend.
Bild („Teal & Fuschia“) unter Creative Commons Lizenz von Ian D. Keating
Weiterführende Artikel:
The pressure of perfection: five women tell their stories
The perfectionist parent – why being hard on yourself can harm your child
Why you need to stop stressing about being perfect