„Du tust genug, Du hast genug, Du bist genug.“
steht in hübscher Schrift auf dem Magazin im Kioskregal. Ich bin gerührt von solchen Botschaften, egal wie kitschig sie wirken mögen, denn ich wünschte, das hätte mir vor Jahren mal jemand gesagt. Damals, als ich in einem Strudel aus Selbsthass gefangen war.
Denn ich war eigentlich nie mit mir zufrieden. Ich war immer fixiert auf all die Dinge an mir, die verbessert werden könnten. Keine Anstrengung, kein Fortschritt war gut genug, ich war noch nicht am Ziel, noch nicht gut genug, noch nicht perfekt. Ich war immer zu schlecht, zu fett, zu dumm, um mich über meine Entwicklung freuen zu können. So einen Menschen braucht keiner. Aber wenn ich perfekt wäre, würden mich alle mögen. Perfekte Menschen führen ein perfektes Leben.
„Und wer trieb mich zu dieser unsinnigen Jagd nach Perfektion? Wer war nie zufrieden mit mir und wies mich auf meine Makel hin, statt meine Erfolge zu feiern? – Naja, in erster Linie war ich es selbst.“
In meinem Kopf herrschte ein richtiges Mean Girl – ein Mädchen durchzogen von Selbsthass. Eine gemeine Stimme, – nennen wir sie in diesem Artikel mal Regina – die mir zu jeder möglichen Situation im Alltag Beleidigungen zurief:
„Du kannst das eh nicht, versuch’s erst nicht.“, „Wieso soll jemand mit dir zusammen sein wollen?“, „Du siehst so fett aus in dem Kleid!“ etc.
Regina war gnadenlos und konsequent feindselig. Aber leider hörte ich auf sie und investierte meine gesamte Energie darin, sie zufrieden zu stellen. So entwickelte sich mein Drang nach Perfektion, denn wenn ich perfekt wäre, würde auch Regina still sein. Während dieser Zeit vernachlässigte ich so einige andere Dinge – meistens erst mal mich selbst.
Ich ignorierte die Zeichen meines Körpers, der mir sagen wollte, dass etwas nicht stimmt. Schlafmangel, Herzrasen, Neurodermitis usw. Mein Körper schrie nach meiner Aufmerksamkeit – aber Regina war lauter. Ich unterdrückte alle Zeichen, bis ich nach jahrelangem Selbsthass und Perfektionismus meinen Tiefpunkt erreicht hatte. Die selbstbewusste, starke junge Frau, die ich damals glaubte, gewesen zu sein, löste sich in einen schlaffen, verbrauchten Haufen auf.
„Ein kleines unsicheres Mädchen, das nichts anderes wollte als Bestätigung und Liebe, die sie sich selbst nicht geben konnte.“
Ich wurde für Wochen krankgeschrieben und als ich da so saß, mit verschmiertem Eyeliner und ohne den Willen, es «allen zeigen zu wollen», merkte ich, dass Regina gehen musste. Aber wie kann ich die Schäden, die ich mir mit meinem Mindset selbst zugefügt habe, wieder rückgängig machen? Ich konnte nicht einfach in eine Apotheke spazieren und sagen
„‚Guten Tag, haben sie was gegen Selbsthass?‘. Für die Seele gibt es keine Medizin, sie muss sich selbst heilen, durch viel Arbeit, Reflexion, Ehrlichkeit und Zeit.“
Ich möchte für dich zusammenfassen, welche Maßnahmen ich traf, um mich zu heilen und wieder im Einklang mit mir selbst zu kommen.
Nach meinem Tiefpunkt war ich emotional ziemlich aufgewühlt. Ich wusste, dass wenn ich wieder Klarheit in meinem Leben haben wollte, ich Ordnung in meine Gedanken bringen musste und das funktionierte für mich nicht mit diesem Gefühlschaos in mir.
„Also nahm ich mir die Zeit für mich selbst, versuchte zunächst, die Gefühle zu beschreiben, Wut, Frust, Enttäuschung etc.“
Dann fragte ich mich, weshalb ich mich so fühlte, z.B. war ich frustriert von mir selbst, weil ich nicht den Körper hatte, den ich mir wünschte. Ich wollte immer groß und schlank sein und einen flachen Bauch haben. Da war er wieder – der Selbsthass. Der Fakt, dass ich asiatischer Abstammung bin und daher eher klein (1, 57 Meter, um genau zu sein) und damals einfach nicht die Motivation finden konnte, mich regelmäßig zu bewegen, führte dazu, dass ich von mir selbst enttäuscht und über meine äußere Erscheinung frustriert war.
Danach folgte der anstrengende Teil: Ich musste mich davor hüten wiederum emotional zu reagieren und objektiv meine Gefühle hinterfragen: Weshalb ist es mir so wichtig, groß und schlank zu sein? Bin ich wirklich unattraktiv oder fürchte ich mich nur davor, als unattraktive Frau wahrgenommen zu werden? Wieso ist das so wichtig? Wieso bin ich so unsicher? Sind meine Ängste und Unsicherheiten berechtigt?
Während einer bewussten Kontrolle meiner Gefühle fand ich heraus, dass viele meiner Ängste darauf beruhten, dass ich mich zu sehr in kleine Dinge investierte und vieles in meiner Umwelt mit einem negativen Gedankenmuster interpretierte (wie ich dieses Muster durchbrach, erklärt ich dir im folgenden Schritt).
„Wichtig für den Anfang war, meine Gefühle nicht zu unterdrücken, sie zu akzeptieren, mich mit ihnen zu objektiver zu befassen und dennoch nicht alles zu glauben, was ich fühlte.“
Ich hatte oben schon das negative Gedankenmuster angesprochen. Jahre lange war ich fixiert darauf, das Negative in vielen Situationen zu suchen und mich als Opfer darzustellen, das in vielen Situationen keine Handlungsfähigkeit besaß. Ich musste meine Denkart so verändern, dass sie meine Weiterentwicklung fördert, keinen unnötigen Pessimismus fördert und mich wieder zu einem proaktiven Menschen macht.
In einem ersten Schritt begann ich, auf die Art zu achten, wie ich mit mir selbst und Anderen sprach. Ich bin davon überzeugt, dass unser gesprochenes Wort und unsere Gedanken sich gegenseitig beeinflussen. Wenn du den ganzen Tag in einem beschwerenden oder genervten Ton an Konversationen partizipierst, trainierst du deine innere Stimme, ebenfalls in diesem Ton und in dieser Perspektive deine Umwelt zu betrachten.
Also versuchte ich, weniger zu nörgeln, nicht zu fluchen und keine passiv-aggressiven Anmerkungen mehr zu machen. – Du weißt schon, wenn einen jemand fragt, ob alles okay ist und man die Person anschnauzt mit einem „Ja, es ist alles OKAY!“.
Nach kurzer Zeit bemerkte ich Veränderungen in der Art und Weise, wie ich mit mir gedanklich selbst sprach. Je mehr ich mich bei Konversationen auf ein positives Wording achtete, desto mehr veränderte sich mein mentales Vokabular. Regina wurde also langsam leiser.
Die Veränderung in meinem gesprochenen Wort beeinflusste also meine Gedanken. In Momenten von Niederlagen musste ich allerdings noch bewusster mit meinen Gedanken umgehen, da Niederlagen für mich immer sehr schwerwiegend waren und auch Kritik habe ich oft als persönliche Attacke empfunden. Ich wusste, dass es eine bessere Art geben musste, um mit diesen Situationen umzugehen, also versuchte ich, mich stets daran zu erinnern, dass Niederlagen und Kritik zu jedem Entwicklungsweg dazugehören.
„Fehler und Makel sind jene Punkte, an denen man sich verbessern kann.“
Tiefpunkte werfen einen nicht wieder komplett zurück, sondern können als Wegweiser dienen und zu neuen Erkenntnissen führen. Niederlagen müssen in deinem Kopf ihr negatives Label verlieren und zu Werkzeugen deines Erfolgs werden. So habe ich aufgehört, mich selbst für jeden kleinen Fehler zu zerreißen und behalte nun meine Motivation.
Ich habe mich oft nur damit beschäftigt, was ich gern sein würde aber nie damit, wer ich im jetzigen Moment bin. Aber wie soll ich wissen, wo ich hin will, wenn ich nicht weiß, wo ich starte? So fing mein Prozess der Selbstfindung an, in dem ich immer noch stecke, da ich mich mit der Zeit ja auch verändere. Dafür fing ich an zu meditieren, in meinem Journal frei zu schreiben, mir selbst Briefe zu schreiben, in denen ich Fragen an mich selbst stelle, wie «Wie sieht dein perfekter Tag aus?» «Welche Menschen liegen dir am Herzen und wieso?» «Was sind deine Stärken? Wann hast du sie das letzte Mal genutzt?»
Egal, wie du es machst, ich empfehle dir, dir die Zeit zu nehmen, dich selbst mal zu interviewen und dir über deine Fähigkeiten, Vorlieben, Aversionen etc. klar zu werden. Basierend auf deinen Erkenntnissen kannst du deine Ziele aufbauen, die wirklich zu dir passen.
Regina hat mich pausenlos daran erinnert, dass ich nicht so war, wie die perfekten Frauen in Filmen und auf Social Media und gab mir das Gefühl, dass das etwas Schlechtes wäre. Ich erkannte aber, dass diese Vergleiche nicht meine Motivation und meinen Ansporn erhöhten, sondern im Gegenteil nur Enttäuschung und Selbsthass hinterließen.
Ich wusste, dass ich damit aufhören musste.
„Dafür musste ich einsehen, dass der Erfolg von jemand anderem nicht meinen Erfolg mindert, denn die wenigsten Menschen setzen sich dieselben Ziele mit derselben Entwicklung in derselben Umgebung.“
Ich lernte also, den Erfolg anderer Leute ehrlich zu feiern und an anderen Momenten über meine Ziele nachzudenken und mich komplett auf mich zu fokussieren.
Die letzte Maßnahme, die ich dir vorstellen möchte, um wieder zu dir zu finden und wieder liebevoller mit dir umzugehen, ist «Self care», also die Pflege deines Körpers und Geistes. Sobald du dir die Zeit nimmst, dich um dich selbst zu kümmern, wirst du mehr Energie haben, deine Ziele zu erreichen und lernst, dich hin und wieder an erster Stelle zu setzen.
„Das ist nicht egoistisch, sondern ein gesunder und bewusster Umgang mit deiner Energie.“
Durch diese Veränderungen habe ich meinen Selbsthass mit Selbstliebe, Selbstvertrauen und Positivität ersetzt. Heißt das, dass ich jetzt ein kleiner Sonnenschein ohne Selbstzweifel bin und den ganzen Tag Liebe ausstrahle? Natürlich nicht. Ängste, Wut und andere negative Emotionen sind vollkommen normal und gehören genauso zum Leben dazu wie positive Gefühle. Es ist allerdings wichtig, diese Negativität nicht die Oberhand über dein Leben ergreifen zu lassen und dich komplett nach ihnen zu richten. Achte auf dich, nimm dir Zeit für dich, feiere dich und vergiss nie:
„Du bist mehr als genug.“
This is PART II of our Mental Health series. See here the other articles of this category.
Bild („Untitled“) unter Creative Commons Lizenz von Cari Ann Wayman
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