Denkt man an die heutige Gesellschaft, dann wird zwar das Thema Depressionen und Suizid immer mehr in den Medien behandelt. Dennoch gleicht die Art der Behandlung der der eines Tabuthemas. Das führt nicht nur zu einer großen Unwissenheit, sondern auch zu einer daraus folgenden Unsicherheit von uns Menschen. Wir wissen nicht so recht, wie wir mit depressiven Personen umgehen sollen. Soll man sie ablenken? Ermutigen? Überreden, dass schon alles gut wird? Oder doch lieber in Ruhe lassen? Dabei könnten wir viel tun, um den Betroffenen zur Seite zu stehen. Als ich in der Ausbildung das erste Mal einem 9 jährigen Jungen begegnete, der sich mit einem Messer im Schrank in seinem Kinderzimmer eingeschlossen hatte und daher nun eingewiesen wurde, wusste ich, dass mehr hinter Depressionen stecken müssen als die Traurigkeit, die sich wie ein Schleier über das Leben legt. Denn wie erklärt man es sich sonst, dass jemand in so jungen Jahren depressive Züge aufweist – ja, keine Lust mehr auf das Leben hat?
wie „Tote Mädchen Lügen nicht“ großen Ruhm. Nein, keine Angst man muss diese Serie nicht kennen, um dem weiteren Inhalt folgen zu können. Was ausschlaggebend ist (Achtung Spoiler): ein ganz „normales“ Mädchen erleidet Depressionen und begeht am Ende einen Selbstmord. Die danach entstandene Debatte habt ihr vielleicht mitbekommen. Es ging größtenteils um Eltern, die besorgt waren, dass ihre Kinder auf ähnliche „dumme“ Ideen kommen. Sie hätten sich gewünscht, dass so eine Serie gar nicht frei verfügbar im Internet zu finden ist.
„Das Thema sollte lieber verschwiegen werden.“
Genau diese Haltung sowohl zum Thema Depressionen und Suizid findet sich nicht nur in der westlichen Welt, sondern auch bei uns in den östlichen Staaten – und das obwohl unsere Kultur auf Gemeinschaft und soziales Verhalten programmiert ist. Paradox, oder?
… nimmt im Laufe der Jahre immer weiter zu. Laut der deutschen Depressionshilfe begegnet fast jeder fünfte Mensch in Deutschland in seinem Leben einer Form der Depression. Wenn man die deutsche Bevölkerung durchzählen würde, wäre jede vierte Frau und jeder achte Mann davon betroffen. Erschreckend wie wenig im Verhältnis dazu darüber geredet wird. Sie hat viele Gesichter. Nach einer Krise wie dem Verlust eines wichtigen Menschen, einer Kündigung oder der Bedrohung der Existenz können depressive Tiefs auftreten. Aber auch die Jahreszeit, wie der Winter, kann eine solche Stimmungsveränderung herbeiführen. Sie kann dauerhaft, wiederkehrend sein oder eine Person eine Weile begleiten und wieder verlassen.
„Wenn der ein oder andere an eine schwere Zeit in seinem Leben denkt, wird er mindestens eine Situation aufzählen können, in der ein anhaltendes Tief gespürt hat.“
Nicht immer müssen diese Tiefs, die zum Leben gehören, in eine Erkrankung münden. Wie auch immer – festzustellen ist: Sie gehört irgendwie zu uns, aber irgendwie auch nicht.
… gibt es demnach viele. Sind auch nicht Inhalt dieses Artikels. Sie können zusammenfassend sowohl innerhalb (hormonelle Störungen, Mechanismen in der Psyche etc.) als auch außerhalb (Belastungen, Krisen etc.) der Person liegen. Manchmal ist es auch erst die Kombination, die diese Erkrankung ins Leben ruft.
„Das Bild von der Erkrankung ist ganz klar: dunkel, traurig, einsam, verlassen, abgeschottet – so wie auf dem Bild.“
Menschen, die eine Depression haben, werden als tieftraurig gesehen und jeder, der versucht empathisch zu sein, versucht sie wieder aufzumuntern. Denn, das macht man doch so bei guten Freunden, oder?
… eine dauerhafte Depression nicht eine periodische Phase der Traurigkeit ist, die man einfach mit Lächeln auflösen kann, sondern von innen gesteuert wird. Während des Studiums habe ich viele Beiträge dazu angesehen, Artikel gelesen etc. Zwei Beiträge sind im Kopf hängen geblieben. Der eine handelte davon, dass eine sehr erfolgreiche Frau, die eigentlich alles im Leben hatte, plötzlich mit Phasen im Alltag konfrontiert wurde, bei denen sie weinen musste und nicht wusste wieso. Die andere Frau hatte Familie, Kinder etc. und war seit der Jugend depressiv. Hatte in der Zeit der Kindererziehung keine großartigen psychischen Probleme und als die Kinder erwachsen wurden, fiel sie in ein tiefes Loch. Sie beschrieb das als
„Tumor, der einen von innen auffrisst.“
Ein weiterer Denkfehler ist, dass wir uns sagen, dass die betroffenen Personen doch alles haben. Wieso sind sie dann traurig? Wir verbinden Traurigkeit mit einer Ursache. Sobald die Ursache beseitigt ist, müsste doch die Traurigkeit auch weg sein? In einem nicht-depressiven Alltag möglich, aber die Welt der Depressiven funktioniert anders. Ein bekannter, sehr erfolgreicher, amerikanischer Psychologe sagte in einem Interview, dass seine Tochter, die selbst an Depressionen litt, das Gefühl beschrieb als würde jeden Tag der Hund sterben. Der Hund war aber am Leben. Nach 2 Jahren starb der Hund tatsächlich und er fragte, ob es sich so anfühlt. Sie erwiderte: „Nein, es ist viel schlimmer.“
… führt dazu, dass viele Scheu haben, mit Menschen umzugehen, die davon betroffen sind. Nicht umsonst besteht bei einer Therapie die Möglichkeit, die Familie miteinzubeziehen. Das Nicht-Nachvollziehen-Können führt darüber hinaus dazu, dass die meisten es nicht verstehen, wenn ein depressiver Mensch sich entschließt, sein Leben zu beenden. Der erste Gedanke ist „Das hätte man doch irgendwie lösen können.“ Nein, das hätte man vielleicht in der Welt, in der wir leben machen können, aber nicht in seiner. Der depressive Mensch möchte sein Leben – so wie es gerade ist – nicht mehr haben. Es ist eine Dimension der inneren Unruhe, die wir uns gar nicht ausmalen können.
… passiert in den Fällen, die ich mitbekommen habe, „plötzlich“. Es heißt, dass keiner geahnt habe, was die depressive Person durchmacht. Mütter und Väter geben sich die Schuld, ob sie etwas falsch gemacht haben. Gefolgt von Anrufen fremder, neugieriger Menschen, was denn passiert sei.
„Die Scham zuzugeben, dass etwas nicht mit einem stimmt, lässt viele junge Menschen lieber schweigen – aus Angst vor der Verachtung der Gesellschaft und sogar der eigenen Familie.“
Die Perspektivlosigkeit gepaart mit fehlenden positiven Aspekten im Leben lässt viele einen Schlussstrich unter ihr Leben ziehen.
Familien schotten sich danach ab, haben Scham und Angst in sich. Vor allem, weil sie einen Teil der Ursache bei sich sehen. Manchmal wird ein Abschiedsbrief hinterlassen. Manchmal auch nicht. Für viele Hinterbliebenen bleibt der Schmerz unfassbar. Sie versuchen sich in die Lage der Person hineinzuversetzen. Alle möglichen Gründe werden in Betracht gezogen. War es Liebeskummer? Oder vielleicht doch der Druck in der Uni, der Arbeit, der Schule? Alles mögliche Faktoren, die die Entscheidung mit beeinflusst haben. Depressionen sind gewiss nicht der einzige Grund des Suizids, aber wenn man sich vor Augen führt, dass die Entwicklung dieses Gedankens ein langer Prozess ist, fragt man sich: Wo können wir ansetzen?
Zwar werden viele Faktoren mit in die Überlegungen einbezogen, wenn man verstehen möchte, wieso sich ein Mensch entschließt zu gehen, aber vielen ist unklar, dass das gesellschaftliche Tabu dazu beiträgt, dass sich depressive Menschen nicht öffnen wollen. Sie haben Angst verurteilt zu werden. Psychische Probleme sind immer noch ein Tabu. Wenn sich jemand wegen einer Grippe oder einem gebrochenen Bein krank meldet, kommt meist ein „Gute Besserung.“ Meldet sich jemand wegen einer psychischen Problematik krank, weiß man nicht mal, ob „Gute Besserung“ angebracht ist. Wir brauchen mehr Verständnis und Offenheit, damit sich die betroffenen Personen trauen darüber zu reden, wenn sie merken, dass sie gerade aus einem tiefen Loch nicht mehr herauskommen. Und dann gilt es professionelle Hilfe zu suchen, denn mit Gesprächen etc. ist kein (langfristiger) positiver Effekt zu erwarten.
dass man es schon akzeptieren sollte, wenn sich eine nahe stehende Person das Leben nimmt. Vielmehr möchte ich euch durch den Beitrag hier sagen: Setzt euch (wie auf dem Bild zu sehen) auf eine Bank und bittet den anderen zu euch. Manchmal ist Zuhören das Beste, was man Betroffenen mit auf den Weg geben kann. Vor allem ist das dann die Basis dafür, sich an eine Fachperson zu wenden. Wie sonst kann man jemandem helfen – ohne zu wissen, was in ihm vorgeht? Ich hatte selbst in meinem sozialen Kreis mindestens eine Person, die eine depressive Phase durchgemacht hat. Mal haben sich die Personen mehr, mal weniger geöffnet. Als ich gehört habe, was los ist, muss ich zugeben, dass ich Angst bekommen habe. Trotz meiner Kenntnisse bin ich kein Profi. Das hat dazu geführt, dass ich mich machtlos gefühlt habe. Was soll ich schon tun, damit es den Menschen besser geht? Aber in einem Fall, habe ich immer „nur“ wieder zugehört. Das war denke ich das Schönste, was ich tun konnte. Mehr stand nicht in meiner Macht. Und ich hatte das Gefühl: genau das brauchte die Person in dem Moment – jemand der gerade ein offenes Ohr hatte, ohne dafür verurteilt zu werden, was gerade in ihm/ihr vorgeht.
Habt keine Scheu, euch professionellen Rat zu suchen. Das ist der erste Schritt in die richtige Richtung, denn Depressionen sind keine Schwäche, sondern eine Krankheit, die behandelt werden sollte. Das Gerede von anderen sollte vor allem jetzt zweitrangig sein, denn
„keiner bringt euren Eltern die geliebte Tochter/ oder den geliebten Sohn zurück, wenn ihr fort seid.“
Bild („Take a seat“) unter Creative Commons Lizenz von Matthias Ripp