Wir alle haben sie schon einmal gesehen. Diese weißen Flecken, die manch ein Gesicht oder Körper zieren. Die Weißfleckenkrankheit – oder auch Vitiligo genannt. Der genaue Grund warum solche Flecken bei manchen Menschen entstehen ist leider noch ungewiss. Viele Forscher und Ärzte sind jedoch der Meinung, dass es sich hierbei um eine Reaktion des Körpers auf eine bereits vorhandene Autoimmunstörung handelt.
Beispiele für eine Autoimmunerkrankung wären eine gewisse Art der Blutarmut oder sogar Diabetes Mellitus. Natürlich gibt es viele weitere Ursachen, die die Produktion des Melanins beeinträchtigen und somit die Flecken hervorrufen. Jedoch ist die Forschung hierzu noch nicht fortgeschritten, um die Ursache zu erörtern und diese gezielt behandeln zu können. Auch verursacht Vitiligo keine Schmerzen und man merkt auch nicht wirklich, dass sie ein Teil vom Körper ist.
„Sie ist für den Betrachter wohl auffällig, jedoch für den Betroffenen körperlich sehr unauffällig.“
Nach einer 3-wöchigen Familienreise durch Sri Lanka kam ich gesund und munter wieder zurück nach Deutschland. Ich habe mich sehr gefreut meine Freunde aus der Schule wieder zu sehen und Ihnen von meinen Erfahrungen und Erlebnissen zu erzählen. Anfangs war alles noch schön. Meine Klassenkameradinnen und Klassenkameraden mochten mich und sahen mich wie einen Teil der Klasse. Sie akzeptierten meine dunkle Hautfarbe. Sie akzeptierten, dass ich Schwierigkeiten dabei hatte, die deutsche Sprache so zu beherrschen.
Bis zu diesem einen Nachmittag nach der Schule. Meine Mutter holte mich ab und wir waren an diesem Spätsommerabend wie es jedes kleine Kind freuen würde, auf dem Weg zur Eisdiele.
„Da bemerkte meine Mutter, diesen einen kleinen, weißen Fleck an meinem linken Augenlid und dachte sich, dass es wohl etwas Farbe oder Kreide von der Schule gewesen ist. Sie versuchte diesen Fleck mit einem nassen Taschentuch zu entfernen, jedoch vergeblich.“
Einige Arzttermine und Bluttests später kam die Nachricht: Ihre Tochter hat Vitiligo! Als sehr junges Kind begriff ich nicht wirklich was all diese Ärzte von mir wollten und sah all dem sehr spielerisch entgegen. Doch für meine Eltern kam diese Nachricht wie ein Herzstillstand. Sie machten sich Gedanken über die Zukunft. Auch war – Hochzeit und die Suche nach dem „richtigen“ Ehepartner – schon damals ein sehr wichtiger und schweißtreibender Gedanke meiner Eltern.
„So viel Sie sich auch darüber Gedanken machten, konnten Sie sich nicht ausmalen, welch eine Auswirkung dieses Hautproblem auf meine Psyche und auf meinen Charakter haben wird.“
Die Flecken vermehrten sich. Umschlossen nun sowohl beide Augenlider und Unterlider. Die Ellenbögen und auch schon große Teile meiner Beine sahen nicht mehr so aus wie noch vor der Sri Lanka Reise.
Als kleines Mädchen, dass sehr viel Spaß in der Schule hatte, war es für mich schwer zu verstehen, weshalb all meine Freunde mich mit anderen Augen sahen. Es war sehr schmerzhaft während der Pausen nicht mitspielen zu dürfen und in nur wenigen Tagen als Einzelgängerin auf dem Schulhof herumzuirren. Das große Fragezeichen blieb weiterhin. Jeder Gang zur Schule wurde anstrengender.
„Jede Pause schmerzhafter und trauriger.“
Die Klassenkameradinnen, die vor kurzem mit mir spielten und lachten, wendeten nun den Rücken zu mir und lachten mich aus. Ich war anfangs erleichtert, dass sie mich wenigstens im Unterricht in Ruhe ließen. Doch da habe ich mich wohl zu früh gefreut. Meine damals akzeptierte Lernschwäche nutzten diese Kinder als erste Einladung um mich Stück für Stück zu erniedrigen. Sie äfften mich nach. Machten Witze.
Diese Handlungen und verletzenden Geschehnisse konnte ich weder mit der Schule noch mit meinen Eltern teilen. Denn auch für Sie war diese Erkrankung eine Herausforderung. Bei jedem Gang in den Tempel mussten sie sich den ätzenden Fragen der tamilischen Gesellschaft stellen.
„Eli kadichatho?“ – (Hatte deine Tochter einen Mäusebiss abbekommen?) oder „Naan Sri Lankan Dr.‘inda number thaaren, avar nalla treatment pannuvar.” – (Ich gebe dir die Nummer eines sri lankischen Arztes, welcher diese Krankheit sehr gut behandeln kann.)
Sie spielten sich als Retter auf und boten meinen Eltern jede Hilfe und Anlaufstelle an, doch was alle übersahen war die eigentliche Person, die mit Leib und Seele durch diese Geschehnisse immer einsamer und trauriger wurde. Ein kleines Kind, welches all Ihre Lebensträume und Ihre Freude über Bord schmiss und sich in eine sehr verbitterte Person wandelte.
„Hätte ich damals gewusst welch einen Schaden diese Ereignisse in mir anrichten würden, hätte ich schon zu diesem Moment eine Vertrauensperson informiert.“
Natürlich blieb es nicht nur bei den alltäglichen Hänseleien in den Grundschuljahren. Nach meiner Versetzung auf die Mittelstufe stellte ich erst fest, welche Komplexe diese Ereignisse in den letzten Jahren in mir ausgelöst haben. Ich wertete jeden Blick meiner neuen Klasse anders und schaute allem sehr skeptisch entgegen. Die Mittelstufe brachte alle pubertierenden Jungs und Mädels an einen Punkt. So dauerte es nicht mehr lange, dass es hier zu den wohl schrecklichsten Erlebnissen meines Lebens kommen würde.
„Meine Chancen neue Freundschaften zu knüpfen und Menschen zu vertrauen setzte ich auf null. Es war für mich nicht einfach, also blieb ich der Einzelgänger der ich auch schon vorher war.“
Sehr früh bemerkte ich, dass mein Umfeld genau wusste, welche Dinge mich sehr verletzen würden und womit sie mich immer traurig machen können. Denn die Dinge die ich dort in der Schule zu hören bekam, hätte ich mir nie selbst ausdenken können.
„Schaut mal, da kommt die Milka-Kuh!“
Hört sich wohl komisch an, denn wer will nicht das berühmte „Gesicht“ von Milka sein. Der Hintergrund zu diesem Ausdruck ist jedoch bedrückend und immer noch sehr belastend. Der „Anführer“ der coolen Jungs fing an meine Ankunft so anzukündigen. Da die Masse immer einer Person hinterherrennt, hat es auch nicht mehr lange gedauert bis seine kleinen, fiesen Handlanger genau dieselben Dinge von sich gaben. Ihre Suche nach einem „Opfer“ hatte ab dem Tag ein Ende gefunden.
Diese Äußerungen und Taten ließen mich selbst meinen Anblick hassen. Selten schaute ich mich im Spiegel an und hatte das Gefühl wirklich zufrieden mit meinem Aussehen zu sein. Die Wut und Trauer, die sich in mir aufstaute, ließ ich an mir selbst aus. Selbstverständlich werde ich nicht genauer ins Detail dieser Handlungen gehen, doch ich fand in diesen Handlungen eine gewisse Erleichterung. Sie ließ mich einen größeren physischen Schmerz fühlen und so rückte der andauernde psychische Schmerz für eine kurze Zeit nach Hinten. Ich fing an die Schule zu meiden und erntete so noch mehr Ärger. Alle fragten mich, was denn los sei, doch ich schaffte es nicht, das Vertrauen zu diesen Menschen aufzubauen und mich zu öffnen.
„Im Nachhinein weiß ich, dass mir dies jedoch viel mehr Schmerz erspart hätte!“
Ich denke nicht, dass man gegen Mobbing immun werden kann, jedoch lernt man nach einer gewissen Zeit diese „Dummschwätzer“ in seiner eigenen Welt auszuschalten. Natürlich funktioniert diese Methode nur dann, wenn sie immer wieder mit derselben Sache kommen. Meine Klassenkameraden waren doch ganz schlau und suchten immer wieder nach anderen Möglichkeiten mich bloß zustellen, oder mich am Boden zu sehen.
Sie krallten sich an jede kleinste Möglichkeit fest und erreichten so auch ihr Ziel. Mein hart erbautes Gerüst und mein Mut brachen wieder in Sich zusammen und ich saß vor dem Scherbenhaufen. Einigen Mitschülern war auch das noch nicht genug und sie bastelten ein schönes Plakat mit meinem Gesicht und vielen Beschreibungen (Beleidigungen) die Ihrer Meinung nach zu mir passten.
„An diesem Tag traf ich eine sehr schmerzhafte Entscheidung und entschied mich meinem Leben endgültig ein Ende zu setzen.“
Es fiel mir sehr schwer auf irgendwelche Feiern der tamilischen Gesellschaft zu gehen, denn meine Eltern bestanden drauf, dass ich nach all den blöden Sprüchen und Anmerkungen aus der Vergangenheit nur noch mit einem mit Make-Up vollgeklatschten Gesicht bei solchen Festlichkeiten auftauche. Selbst dann war es nicht so, dass man den Ansprüchen der tamilischen Jugend gerecht wurde. Wenn es nicht das eine war, dann war es das Andere. Vielleicht war meine Vitiligo nun nicht mehr Gesprächsthema, aber mein Kuchen-Gesicht war nun ein Punkt, auf dem sie rumhacken konnten.
„Schau dir mal Lalitha’s Tochter an. Kaum 14 Jahre alt und schon läuft sie hier mit so einem Gesicht rum.“
Konstant wurde mir das Gefühl gegeben, nicht den Erwartungen zu entsprechen und niemals gut genug zu sein. Die Kombination aus den Handlungen in der Schule und die Sprüche aus der tamilischen Gesellschaft waren für mich eine unerträgliche Last und Sie erzeugten in mir auch nach meiner naiven, danebengegangenen Entscheidung einen unstillbaren Schmerz.
Bestimmt haben viele diese Erlebnisse auch teilweise selbst durchgelebt, durch viele verschiedene Gründe.
So wissen viele auch, wie es sich in der tamilischen Gesellschaft – ob jung oder alt – mit einer sehr ausgeprägten Depression und dem Gefühl der Ausweglosigkeit anfühlt.
Ich war eigentlich eine durchschnittliche Schülerin. Hatte es trotz meiner Lernschwäche auf ein Gymnasium geschafft und war stets bemüht mich nur auf den Unterricht zu konzentrieren. Als Einzelgänger hat man manchmal den Vorteil, dass man in Ruhe dem Unterricht folgen kann und nicht ohne Grund vom Tischnachbarn gestört wird. Doch nach den Ereignissen, die ich gerade mit euch geteilt habe, ging es familiär als auch schulisch bergab. Man erwartete von mir, dass ich meine Zähne zusammenbeiße und mich nicht auf unwichtige Dinge konzentriere. Meine Eltern erwarteten von Ihrer ältesten Tochter Stärke und eine Schulter zum Anlehnen. Die tamilische Gesellschaft erwartete von mir Anstand und Rücksichtnahme auf die Dummheit Mancher.
Nach langen Diskussionen und Gesprächen bekam ich dann meine wohl letzte Chance mich selbst zu beweisen. Mit Hilfe vieler Menschen und der Wiederholung der 9. Klasse auf demselben Gymnasium schaffte ich meinen qualifizierten Realschulabschluss.
„Der erste Erfolg nach vielen Jahren. Den Moment werde ich so leicht nicht mehr vergessen!“
Knapp 14 Jahre habe ich Sie nun und lebe mit Ihr. Manchmal vergleiche ich sie sehr gerne mit den Wellen des Meers. Im Sommer breitet sie sich etwas mehr aus und fühlt sich wohler, im Winter dagegen mag sie sich eher verstecken. Diese vielen Jahre waren eine sehr prägende und auch schmerzhafte Zeit, jedoch habe ich aus dieser gelernt wie man von 0 anfängt. Wie man Menschen vergibt und wie man sich selbst nicht allzu sehr verabscheut.
„Es wird weiterhin eine sehr lehrreiche Zeit. Mit viele Höhen und einigen Tiefen.“
Jeder der von einem Menschen, der mit Mobbing in Kontakt kam, erwartet, dass es nun schnell wieder bergauf geht und keine Tiefpunkte mehr folgen, sollte mit sich selbst und auch mit der betroffenen Person ein offenes Gespräch führen und versuchen eher eine helfende Hand zu bieten.
Ich habe durch die Besuche bei den tamilischen Tempelfesten gemerkt, dass es doch viele Menschen unserer Nationalität gibt, die an Vitiligo erkrankt sind und manch einer traut sich vielleicht nicht anzusprechen, welche Erfahrungen er durch diese Erkrankung in seiner Umgebung und seinem Familienkreis erlebt hat. Ich hoffe nicht, dass eure Mitmenschen aus der Schulzeit oder im Arbeitsleben, so unterbelichtet waren wie meine, jedoch möchte ich hiermit einen Ort bieten, an dem man ohne Scheu und Angst seine Schmerzen teilen kann.
Zu guter Letzt: So schmerzhaft diese Erfahrungen auch waren und so belastend die Gedanken an manchen Tagen auch sind, habe ich mir trotzdem ein Leben gefüllt voller Liebe und Zuneigung hierdurch erbauen können. Ja, es ist nicht einfach mit solchen Erfahrungen durchs Leben zu gehen. Es gibt auch mal Tage, an denen man sich nicht wirklich aufrappeln kann, aber ich sage dann nur:
„Am Ende eines Tunnels siehst du immer Licht!“
Meine letzte Bitte wäre, falls sich jemand all seinen Mut zusammennehmen sollte und sich bei Euch meldet, um sich mit euch über Seine Gedanken und Probleme zu unterhalten, sagt niemals ab und sucht nicht nach Gründen, um diesen Gesprächen zu entgehen. Es reicht einfach wenn Ihr eure starke Schulter zum Anlehnen und euer offenes Ohr zum Zuhören anbietet.
„Butterflies can’t see their wings. They can’t see how truly beautiful they are, but everyone else can. People are like that, too!”
Bild („my art“) unter Creative Commons Lizenz von Marleen Keustermans
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