Wer kennt das nicht? Besser: Welcher Tamile kennt nicht folgende Situation? Man ist bei Freunden oder Bekannten, hat sich lange nicht mehr gesehen und kommt ins Gespräch. Währenddessen wird meist einer der beliebten Smalltalk Fragen zum Beruf gestellt:
,,Thangachi ningel enne paddikuringal?” (zu Deutsch: „Kleines, was studierst/ lernst du?“)
Man grübelt kurz und erklärt dann seinen beruflichen Status. Es folgen zunächst Stirnrunzeln, fragende Gesichter und anschließend ein verunsichertes Lächeln. Meist wird noch nachgehakt oder das Thema auf sich beruhen gelassen. Es scheint so als wären viele Berufszweige in der tamilischen Gesellschaft unbekannt. Erstmal nichts Verwerfliches, aber gerade viele aus der ersten Generation verknüpfen einen hohen beruflichen Status mit einem vorausgehenden Studium. Aber kann man nur erfolgreich sein, wenn man studiert hat? Oder gar Arzt, Anwalt oder Ingenieur ist?
Ich kann mich noch an meine damalige Situation erinnern. Nach meinem Abitur und darauffolgendem Freiwilligem sozialen Jahr (FSJ), offenbarte ich meiner Umgebung, dass ich Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin (früher Kinderkrankenschwester) werden möchte.
Gerade die erste Generation fragte, wieso ich mein Abitur gemacht habe und ob ich doch nicht studieren wolle. Ein Abitur eröffnet einem das Tor zu der kompletten Berufswelt. Damit hatte ich auch die Qual der Wahl. Von Versuchen auf mich einzureden, ob ich nicht Anwältin oder Ärztin werden wolle bis hin zu Prophezeiungen für die Zukunft, was für ein abgesichertes Leben ich haben werde, wenn ich den vorgeschlagenen Weg gehe, folgten viele wirklich gut gemeinte Ratschläge.
Ich bin mir sicher, keiner meinte es böse. Alle Personen aus meiner Umgebung wollten und wollen immer noch das Beste für mich. Aber ich spürte, dass ein direktes Studium mich nicht erfüllen wird. Dass ich die Mischung auf medizinischem Wissen und den sozialen Kontakt zu kranken Menschen so faszinierend fand, dass kein anderer Beruf meine Vorstellungen erfüllte wie dieser.
„Ich habe mir bewusst Zeit bei dieser Entscheidung gelassen, denn ich wollte nicht mit Mitte 20 merken, dass ich einen Weg gegangen bin, um Anderen zu gefallen und mich selbst dabei vergessen habe.“
Ich hatte schon immer großen Respekt vor diesem Beruf. Einerseits sind Krankenschwestern die Schnittstelle zwischen allen Berufsgruppen im Krankenhaus und anderseits haben eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Das Einatmen des Duftes von Desinfektionsmitteln, wenn man das Krankenhaus betritt, die ganzen medizinischen Begriffe verstehen und verwenden können,
„die Hand, die das Leben in den ersten Stunden in den Händen hält und in den letzten Stunden gehen lässt: Das wollte ich erleben.“
In vielen Ländern wie den USA ist dieser Beruf ein anerkanntes Studium. Dort z.B. wird der Status der Krankenschwester auch höherwertig angesehen als hierzulande. Zwar hat man hier einen sozialen Bonus, wenn man sagt, man sei Kinderkrankenschwester („die muss aber nett sein“), aber noch ist der Beruf noch zu niedrig bezahlt. Und hier liegt der Knackpunkt: Nach meinem Gefühl suchen sich die Eltern und die tamilischen Mitmenschen nicht den Beruf nach Faktoren wie Spaß an der Arbeit aus, sondern sie fixieren sich erstrangig auf den finanziellen Aspekt.
Ich bin überzeugt davon, ohne diese Leidenschaft in mir, hätte ich die Ausbildung nicht mit Bravour abgeschlossen. Mit meinen fast 5 Jahren Berufserfahrung kann ich nicht nur viele aufregende Geschichten erzählen, sondern weiß auch, was zu tun ist, wenn ein Kind nicht trinkt, wenn es eine schwere Magen-Darm-Erkrankung hat oder Anzeichen eines Infekts zeigt. Wahrscheinlich einer der Gründe, weswegen mich Freundinnen, die selbst Mamas sind, privat kontaktieren. Dadurch fühle ich mich geehrt: Ich darf das Wissen, was ich mir beruflich aufgebaut habe, privat teilen und ich kann: helfen. Und das war mein Hauptmotiv, den Weg zu wählen, den ich gewählt habe: helfen.
„Wenn man leidenschaftlich seinem Beruf nachgeht, wird man automatisch gut darin sein.“
Nach fast 1 ½ Jahren Berufserfahrung beschloss ich berufsbegleitend Prävention und Gesundheitspsychologie zu studieren, um meinen Horizont zu erweitern und noch mehr Optionen für den weiteren Weg in der Hand zu haben. Festzustellen ist: Leidenschaft wird dich immer wieder zu höheren Zielen anspornen – egal was du machst. Und noch wichtiger: Du wirst Spaß an dem haben, was du tust.
ist sehr simpel:
„Du wirst nie wissen, was dich am Ende eines Tunnels erwartet, wenn du ihn nicht beschreitest.“
Ich bin mir sicher, hätte ich von Anfang an studiert, wäre ich das ganze Studium anders angegangen und hätte nicht die Reife, die ich heute habe, um zielgerichtet in die Zukunft zu blicken.
„Denn ist es nicht so, dass gerade in unserer Gesellschaft junge Menschen manchmal unüberlegt einen Weg einschlagen, um jemandem einen Gefallen zu tun?“
Den Eltern, dem Nachbarn oder den Geschwistern, damit sie zu einem aufblicken können? Und ist es dann nicht härter, 30-40 Jahre in einem Job zu arbeiten, in dem man nicht aufgeht? In dem man sich nicht erfüllt fühlt?
Aber zurück zu der Frage, ob ein Studium die Garantie für eine sichere Karriere ist. Es ist wichtig zu wissen, dass gerade Berufe, für die man studieren muss wie z.B. des Arztes oder des Ingenieurs mit viel Verdienst in Verbindung gebracht werden.
„Unsere Eltern möchten ganz einfach, dass wir abgesichert sind für die Zukunft. Denn ein festes geregeltes Einkommen bedeutet finanzielle Sicherheit.“
Sie selbst haben ihr Leben aufgegeben, um uns hier ein besseres Leben bieten zu können. Wenn dieser Brunnen der Möglichkeiten (aus ihrer Sicht) nicht ausgeschöpft wird, dann sind sie irritiert. Sie möchten stolz ihrer Verwandtschaft und der Umgebung erzählen, wie weit es ihre Kinder gebracht haben und, dass das Opfer, das eigene Leben in Sri-Lanka aufzugeben, es wert war, um den eigenen Kindern eine bessere Zukunft bieten zu können.
Bedenken sollten wir, dass unsere Eltern in einem komplett anderem Land aufgewachsen sind. Erstens ist die berufliche Struktur dort anders und zweitens haben sich gerade in den letzten 20 Jahren immer wieder neue Jobs entwickelt. Unsere Gesellschaft im Westen entwickelt sich und erfordert damit neue Kompetenzen und neues Wissen. Sich ohne Ausnahme auf klassische Berufe wie des Arztes, Anwalts oder Ingenieurs zu berufen, ist damit nicht nur mehr zeitgemäß, sondern auch nicht passend zu den Anforderungen, die die heutige westliche Gesellschaft an uns stellt.
… unterstützt unsere Eltern in ihrem Denken. Einen Beruf in der heutigen Zeit auszuüben heißt mehr als nur die Familie ernähren zu können und Geld nach Hause zu bringen. Man möchte Geld verdienen, eine gute Position erreichen und etwas für die Nachwelt tun. Meist werden diese Faktoren direkt mit einem Studium in Verbindung gebracht.
Doch bedeutet ein Studium auch beispielsweise einen hohen Verdienst? Zwar verdienen Akademiker im Schnitt mehr als Absolventen einer Ausbildung, jedoch ist es ausschlaggebend in welchen Berufszweig (Wirtschaft, Soziales, Technik etc.) der Job fällt, wie groß der Betrieb ist, in welchem Bundesland man arbeitet und (leider) auch welches Geschlecht man hat. Noch immer verdienen Frauen in der ähnlichen Position weniger als Männer. Ein Studium allein ist also nicht die Garantie für ein hohes Einkommen.
Eine Extreme, die ich hin und wieder erlebt habe ist, dass Menschen und ihre Familien, sich Geschichten ausdenken, wie, dass das eigene Kind, Arzt oder Ingenieur sei, um den Scham, keinen „angesehen“ Beruf erlangt zu haben, zu überdecken. Der gesellschaftliche Druck ist in diesen Fällen so groß, dass nicht bedacht wird, dass die Energie, diese Lüge aufrecht zu erhalten, zu groß sein wird, dass die Scham damit sogar zunimmt.
Denn wie erklärt man es jemandem in 5-10 Jahren, dass es doch nicht zu dem angegebenem Beruf kam? Ist es dann nicht besser, sich von Anfang an treu zu sein und dazu zu stehen, was man beruflich macht? Ich verurteile es nicht, wenn jemand diesen Weg wählt, denn die Angst vor dem gesellschaftlichem Druck ist sehr gut nachvollziehbar. Dennoch wird es euch langfristig nicht glücklich machen, weil ihr nach außen ein anderes Bild tragt, als das, was ihr wirklich seid – und vor allem könnt.
„Wieso ist es so wichtig Andere mit etwas zu beeindrucken, was man nicht ist? Ist man nicht genauso wertvoll, wenn man das macht, was einem am besten liegt?“
Hier wird wiederum klar, dass man sich selbst zuerst fragen sollte “Was möchte ich später erreichen?” und demnach seine Entscheidung fällen sollte, ob dieses Ziel mit einem Studium, einer Ausbildung oder einer Kombination aus beidem zu erreichen ist. Ich erinnere mich noch an eine Passage aus dem Bestseller „Ein ganzes halbes Jahr“, bei der einer der Hauptfiguren gefragt wird, wieso sie so erfolgreich sei. Die Person antwortete daraufhin damit, dass sie lange wusste, wohin sie wolle und daraufhin die Bildungsmöglichkeiten so ausgewählt hat, dass sie an ihr Ziel kommt.
Es sollte klar sein, dass der Bildungsweg nach dem Studium oder der Ausbildung nicht aufhört. Wer seinen Job liebt, wird sich immer wieder nach neuen Herausforderungen umsehen. Man sollte sich immer vor Augen führen, dass der Job mehrere Jahrzehnte gemacht wird. Meist füllt die Arbeit mindestens 1/3 unseres Tages aus. Mindestens acht Stunden am Tag gehen wir einer Aufgabe nach, die dem allgemeinen Zweck dient und für die wir in den meisten Fällen entlohnt werden.
Und diese Arbeit sollte einem Spaß machen, denn nur, wer glücklich ist, der geht gerne zur Arbeit. Wäre ich damals den Weg des Medizinstudiums gegangen, weiß ich, dass ich heute nicht zufrieden damit wäre. Das kann bei jemandem anderes völlig anders sein. Festzustellen ist: Nicht jeder sozial erwünschte Beruf passt zu jedem. Vielmehr geht es darum, ob er einen erfüllt und vor allem glücklich macht.
… definiert jeder selbst. Für den einen ist es der Verdienst, für den anderen ist es wichtiger, sich sozial zu engagieren. Wichtig ist es einen Beruf zu finden, der alle diese Ziele möglichst miteinander vereinbart. Ein guter Job sollte ein Mix aus Herausforderung und Erfüllung sein.
„Erfolgreich sein heißt nicht nur, viel zu verdienen und seine Lebensunterhalt sichern zu können, sondern auch so gut wie jeden Morgen gerne aufzustehen und zur Arbeit zu gehen und sie gut zu machen.“
Ob dieses Ziel mit einer Ausbildung, einem Studium oder einer Kombination aus beidem erreicht wird, sollte von hauptsächlich jedem selbst und nicht seiner Umgebung entschieden werden.
… leisten einen Beitrag zur beruflichen Orientierung, dennoch ist es wiederum wertvolle Zeit, die dabei verloren geht. Setzt Euch Ziele und orientiert euch danach und nicht daran, was andere sagen.
„Habt Mut Euren eigenen Weg zu gehen und zu zeigen, dass es weitaus mehr Möglichkeiten gibt, eine gesicherte Zukunft zu haben!”
Fühlt euch nicht schlecht, wenn ihr einen Weg wählt, der auf dem ersten Blick nicht vielversprechend ist oder nicht den Vorstellungen der Gesellschaft entspricht. Wenn ihr einen Weg gefunden habt, der euch selbst und eure Umgebung glücklich macht: Seid ebenfalls stolz auf euch. Unsere Umgebung meint es nicht böse, wenn sie uns in eine bestimmte Richtung weisen will. Die meisten aus der älteren Generation kennen es nicht anders und unsere Aufgabe ist es zu zeigen, dass es viele Möglichkeiten gibt, gut für seine Zukunft zu sorgen, dabei glücklich zu werden und sie damit stolz zu machen.
“Your work is going to fill a large part of your life, and the only way to be truly satisfied is to do what you believe is great work. And the only way to do great work is to love what you do.” – Steve Jobs
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