Wenn ich fremden Menschen begegne und sie mein Alter schätzen sollen, kommt höchstens ein „Ungefähr Mitte 20?“ Geschmeichelt gebe ich mein wahres Alter preis – ja, ich bin Ende 20 und werde in 11 Tagen, am 5. September, meinen 30. Geburtstag feiern. „Was du bist schon fast 30?“ kommt einem entsetzt entgegen. Als stünde vor der Person eine Frau, die bereits bestimmte Ziele im Leben verwirklicht haben und eventuell sogar ein gewisses äußeres Erscheinungsbild haben sollte.
Ob es wohl an den asiatischen Genen liegt? Oder vielleicht daran, dass ich mich einfach gut gehalten habe? Oder nicht dem typischen Bild einer 30-jährigen entspreche? Man weiß es nicht. Denn seien wir ehrlich, wir haben alle ein Bild vor Augen, wie jemand mit 30 sein sollte. Früher dachte ich, dass das Erwachsenen-Dasein mit dem 30. Geburtstag erst richtig beginnt. Der ganze Spaß wird bei Seite gelegt und der Ernst des Lebens kommt jetzt erst richtig in Fahrt.
„Ja, sogar ein bisschen Mitleid hatte man früher mit denjenigen, die die magische Grenze zur 30 überschritten.“
Wenn man sich vom Freundes- oder Familienkreis umhört, wie alt jemand ist, kommt meistens die Antwort „Ich bin 27“ oder „Ich bin 24“ und direkt hinterher „Aber ich fühle mich nicht so!“ – Auch ich bin einer dieser Kandidaten, die sagen „Ich bin zwar 29, aber im Herzen 18“.
„Aber wie fühlt man sich mit 30? Ist es wirklich ein Gefühl? Ist man mit 30 spießiger, trauriger, gestresster? Gilt es dem Alter Gefühle zuzuschreiben oder bestimmen wir nicht selbst, wann wir uns wie fühlen?“
Ab 27 hieß es immer wieder „Noch paar Jahre, Vijitha. Dann bist du 30.“ Ich gebe zu, etwas Panik stieg mir zu Kopf. Ich dachte, das Leben so wie ich es jetzt lebe, müsste ich ab meinem 30. Geburtstag aufgeben. Der Druck bestimmte vorgegebene Ziele im Leben zu erreichen, stieg.
„Doch umso mehr sich mein 30. Geburtstag näherte, umso mehr freute ich mich sogar auf ihn. Ich möchte euch heute erzählen wieso.“
Wir haben alle ein Bild von einer Frau, die bereits ihren 30. Geburtstag hinter sich hat. Ob es eine aufopferungsvolle, arbeitende Mutter ist, die alle zwei Monate zwischen Zumba Kurs am Nachmittag und den „Girls Days“ (denn wer hat schon als arbeitende Mutter Zeit für Zumba oder Freunde?) pendelt oder die verkorkste Frau ist, die eine Zigarette nach der anderen raucht und nicht weiß wohin mit sich und ihrem Leben. – Wir haben alle ein Bild von einer 30-jährigen Frau im Kopf.
Wie sie sein, was sie in ihrem Leben erreicht haben und noch vor sich haben sollte. Obwohl wir mit der Zeit voranschreiten, haben wir bestimmte Lebensziele im Kopf, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abgearbeitet sein sollten. Wenn sie nicht abgearbeitet sind, dann steckt man gedanklich noch in den 20ern – den Jahren, die dazu da sind, den eigenen Charakter und das Leben zu formen.
Das Leben ist aber keine To-Do-Liste und das Alter wartet nicht darauf, bis wir in einem neuen Lebensabschnitt sind. Es begleitet uns über all die Jahre.
„Wir feiern alle erst nicht unseren 30. Geburtstag, wenn wir voll im Leben stehen, einen bereichernden Beruf und eigene Familie gegründet haben, sondern wir werden 30, wenn es die Zeit so will.“
Das vergessen wir. Wir vergessen auch, dass uns Schema A, was uns von der Gesellschaft vorgelebt wird, nicht das Schema sein muss, was uns persönlich glücklich macht.
„Warte Leben, ich bin noch nicht bereit, um 30 zu werden.“ – schießt uns durch den Kopf.
Wohlwissend, dass wir anders sind als die „typisch“ dreißig-jährigen, verleugnen wir die Tatsache, dass die Zeit unsere Lebensplanung überholt hat. Unglücklich, manchmal sogar beschämt ziehen wir uns zurück und fragen uns wieso wir es „nicht geschafft“ haben. Aber was gilt es zu erfüllen? Die Erwartungen, die Andere an uns herantragen?
„Also feiern wir 10 Jahre lang unseren 29. Geburtstag – verschaffen uns etwas Zeit im Kopf. Zeit, die in der Realität nicht existiert.“
Ich bin jetzt bald 30, habe noch keine eigene Familie und bin gerade dabei mich beruflich weiterzuentwickeln. Oh je – da schlagen direkt ein paar Aunties und Uncles (ältere Frauen und Männer) die Hände über den Kopf. Aber was habe ich denn nun in den 20ern erreicht? Ich möchte hier nicht die einzelnen Meilensteine in meinem Leben aufzählen und damit prahlen, was ich alles so Tolles geleistet habe, sondern ich möchte euch zeigen, dass es mehr darum geht, was ihr aus euch und eurem Leben macht.
Früher habe ich mich als 30-jährige in etwa so vorgestellt, dass ich beruflich dort bin, wo ich sein möchte und mindestens 2 Kinder habe – wenn man sich mein aktuelles Leben anschaut, wird einem schnell klar, dass das Leben mit anderen Karten spielt als man es sich vorstellt. Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht traurig, dass mein Leben eine andere Richtung eingeschlagen hat, als ich es mir mit Anfang 20 vorgestellt habe. Es ist mehr die Erkenntnis, dass es im Leben mehr gibt als diese beiden Bereiche.
„Dass ich erkannt habe, dass ich trotzdem vieles geleistet habe, was mich und mein Leben bereichert, mich wachsen lassen und mich weitergebracht hat, hat die Vorfreude auf meinen 30. Geburtstag entfacht.“
Wenn ich mich mit Anfang 20 und dem jetzigen Zeitpunkt – kurz vor dem 30. Geburtstag – vergleiche, dann stelle ich fest, dass ich ein komplett anderer Mensch bin. Allein das letzte Jahr hat gefühlt einen großen Sprung in meiner persönlichen Weiterentwicklung verschaffen. Ist das nicht wundervoll?
„Man blickt zurück und sieht neben den Leistungen, die man erbracht hat, das was man geworden ist. Ein mündiger Mensch. Ein Mensch, der weiß, was er im Leben möchte und stets bereit ist, sich vom Leben und nicht vom Alter leiten zu lassen.“
Wir sind in der heutigen Zeit viel zu sehr auf Leistungen fixiert, dass wir manchmal aus den Augen verlieren, was uns auch persönlich wachen lässt. Was bringt es uns, wenn wir mit Mitte 30 am Tisch mit unseren Freunden sitzen und ihnen Fotos von unserem Haus, der Yacht und der Familie zeigen können, wenn wir uns nicht als innerlich erfüllt und vollkommen sehen?
Denn was bedeutet für euch „angekommen sein?“ Ist es, dass ihr die Ziele erfüllt, die euch von der Gesellschaft vorgegeben werden oder habt ihr viele Träume, die gar nicht dem typischen Bild einer Frau oder eines Mannes entsprechen? Ich bin mir sicher, dass einiges in meinem Leben nicht so geplant war und dennoch kann ich fest behaupten, dass ich glücklich bin. Wieso? Weil es Lebensabschnitte gab, die zwar ungeplant waren, aber mich in meinem Leben sehr weit nach vorne katapultiert haben.
„Mit dem Alter merke ich auch immer mehr, dass ankommen sein, kein statischer Zustand ist, in dem wir bis an unser Lebensende verharren. Ankommen heißt für mich, dass man sich selbst findet und weiß wohin man möchte. Eine Mischung aus Selbstfindung und Selbstkreation.“
Wenn wir in einen Zustand ankommen wollen, wo würden dann die Überraschungen des Lebens bleiben? Mir kommt es so vor als würde man auf den Tod oder seine Rente warten. Schade, denn das Leben hat viel mehr zu bieten. Deshalb gilt: nach dem 30. Geburtstag hast du immer noch Zeit dich selbst zu finden und zu kreieren. Ja, du hast sogar dein ganzes Leben dafür Zeit. Man sagt, dass sogar manche Menschen, nie wirklich „ankommen“.
Jedes einzelne Lebensjahr hat mich zu dem Menschen verändert, der ich heute bin und ich bin stolz drauf. Vor allem, weil ich fest behaupten kann, dass ich mich sehr zum Positiven verändert habe. Hätten mir eine eigene Familie und ein Beruf, der mich vollkommen erfüllt, genauso diese Zufriedenheit verschaffen? Vielleicht. Für mich ist es aber wichtig, dass ich weiß, dass mein Leben einen anderen Lauf genommen hat als ich es mir Anfang 20 vorgestellt habe und trotzdem glücklich bin.
Es gibt Ziele und Träume die ich verwirklichen konnte, die mit einer traditionellen Lebensplanung eventuell gar nicht oder schwieriger zu vereinbaren gewesen wären.
„Glücklich sein besteht nicht nur darin, dass man später damit angeben kann, was man alles im Leben geschafft hat, sondern auch darin, dass man sich immer wieder neue, vor allem EIGENE Ziele steckt und sein Bestes gibt diese zu erreichen.“
Wenn es deine Definition von Glück ist, ein Haus, eine Familie und einen erfolgreichen Beruf mit 30 zu haben, dann finde ich das schön, weil es zeigt, dass du dich mit deinem Leben und deinen Zielen auseinandergesetzt hast.
Was mich aber stört ist, dass viele Menschen versuchen ihre Lebensträume und -ziele auf Andere überzustülpen und sie versuchen zu dressieren, dazu zu erziehen, dass sie bloß so leben wie sie selbst – ansonsten haben sie den Baustein dafür gelegt, in ihr Unglück zu rennen.
„Das Leben hat mich gezeichnet. Zwar auf andere Weise als erwartet, aber dennoch bin ich stolz auf mich, meine Entwicklung und all die Erfahrung, die ich sammeln durfte.“
Irgendwo spüre ich auch, dass ich eine Ehe, die Erziehung meiner Kinder oder meine berufliche Karriere anders angehen werde, als mit Mitte 20. Und wie sagt man so schön? Alles kommt zur richtigen Zeit. Für mich ist sie jetzt.
„Was ist, wenn wir nicht jedes Lebensjahr als einen weiteren Schritt zum Tod sehen, sondern als eine Bereicherung für uns selbst?“
Die 30er sind für mich keine Fortsetzung der 20er. Vielmehr sehe ich die 20er als ein wichtiges Fundament, auf dem ich nun meine 30er aufbauen werde. Wir können nicht die Zeit aufhalten. Alles was wir tun können ist, uns so anzunehmen wie wir sind und stolz darauf zu sein, was wir aus uns selbst gemacht haben. In diesem Sinne:
„Good bye enriching 20’s and welcome to my 30’s – nice to have you here.”
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